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Es werde Licht

Mittwoch, 5. Dezember 2018

Dank einem neuartigen Netzhaut-Chip besteht für viele blinde Menschen Hoffnung, ihr Augenlicht wieder zurückzuerlangen.

Seit den 1990er-Jahren forschen Prof. Eberhart Zrenner von der Universitäts-Augenklinik Tübingen und sein Team an einem bahnbrechenden Projekt: Mithilfe eines Mikrochips namens ‹Retina-Implantat Alpha›, der unter der Retina eingesetzt wird, dürfte für viele Blinde der Wunsch nach dem Sehen bald schon Wirklichkeit werden.

HI-TECH IM KOPF

Inspirieren liessen sich Zrenner und sein interdisziplinäres Team vom Cochlear-Implantat, einem Gerät, das im Schädel von Gehörlosen implantiert wird und das Restgehör der Patienten reaktiviert. Das Retina-Implantat funktioniert in gewisser Weise ähnlich. Der drei mal drei Millimeter kleine Mikrochip wird an der ‹Stelle des stärksten Sehens› direkt hinter der Netzhaut eingesetzt. Mit seinen insgesamt 1600 integrierten Solarzellen übernimmt der Chip dort die Aufgabe abgestorbener Sinneszellen. Er verwandelt optische Lichteindrücke in elektrische Signale. Diese werden von den verbliebenen Netzhautschichten verarbeitet und an den Sehnerv weitergeleitet. Hinter dem Ohr wird unter der Haut des Patienten zusätzlich eine kleine Kapsel angebracht und durch eine externe Spule ergänzt. So kann der Chip kontaktlos mit Strom versorgt werden.

VOM TUNNELBLICK IN DIE BLINDHEIT

Voraussetzung für den Netzhaut-Chip ist allerdings ein intakter Sehnerv und einige erhaltene Nervenzellen in der inneren Netzhaut. Somit richtet sich das Gerät vor allem an Menschen, die unter sogenannter Retinitis Pigmentosa (RP) leiden. RP bezeichnet eine Gruppe erblicher Augenerkrankungen, von welchen weltweit rund zwei bis drei Millionen Menschen betroffen sind. Die Patienten verlieren nach und nach ihr Augenlicht, denn ihre lichtempfindlichen Sinneszellen sterben schubweise ab. Erstes Anzeichen ist meist die Nachtblindheit im Jugendalter, da zuerst die äusseren Stäbchen der Retina absterben, welche für die Hell-Dunkel-Wahrnehmung verantwortlich sind. Danach verschlechtern sich Kontrast- und Farbsehen, das gesamte Gesichtsfeld verkleinert sich zusehends. Die Betroffenen sehen sozusagen durch einen immer enger werdenden dunklen Tunnel. Die Krankheit kann sich über mehrere Jahrzehnte hinziehen und gilt bis heute als unheilbar.

WUNDER DER TECHNIK

Dank dem Retina-Implantat Alpha dürfen Betroffene nun aber Hoffnung schöpfen. 2005 erfolgte der erste Eingriff , Testpatient Nummer 11 war bereits in der Lage, mithilfe des Chips schwarz-weisse Personenumrisse und grosse Buchstaben zu erkennen. Allerdings funktioniert der Sehvorgang nicht einfach auf Knopfdruck, sondern geht mit einer Eingewöhnung und entsprechendem Training einher, damit das Gehirn sich allmählich wieder an die verloren geglaubten Sinneseindrücke gewöhnen kann. Der Chip wurde von der Retina Implant AG zur Marktreife gebracht. 2013 wurde das erste Implantat ‹Alpha IMS› mit 1500 Pixeln für den europäischen Markt zugelassen, die Einführung in weiteren Ländern ist schrittweise geplant. Der Preis für das Gerät bewegt sich mit einem momentanen Marktpreis von 95'000 Euro (inklusive Training) ebenfalls im Rahmen – immerhin belaufen sich die Gesamtkosten für einen Blindenhund in der Schweiz auf über 60'000 Franken.

MEHR ALS EINE VISION

Auf technischer Ebene ist das Projekt noch lange nicht am Ziel angelangt: ‹Inzwischen gibt es ein technisch weiterentwickeltes und deutlich länger haltbares Implantat mit 1600 Pixeln, das im März 2016 für den europäischen Markt zugelassen wurde›, erklärt Zrenner. ‹In Bezug auf die räumliche Auflösung sind wir aber noch lange nicht bei einer annähernd normalen Sehqualität angelangt.› Darum arbeiten die Wissenschaftler stetig an der Auflösung und Leistung des Implantats. Wenn man bedenkt, wie rasant sich die Auflösung von Digital- oder Handykameras in den vergangenen zehn Jahren verändert hat, dürfte ein Leben in ‹Full HD› für blinde Menschen mehr als eine ferne Vision sein ...

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